Die Lübeckischen Bernsteindreher

Bruder Leupolt - Paternosterer (Beispiel der Herstellung von Holz- oder Knochenperlen)

Bruder Leupolt – Paternosterer (Beispiel der Herstellung von Holz- oder Knochenperlen)

Bereits aus dem Altertum ist die Verarbeitung von Bernstein zu Schmuck sicher belegt und eben so sicher ist, dass man diesen Bernstein schon in sehr alten Zeiten aus dem baltischen Raum bekam. Weniger bekannt dagegen ist, dass sich vor allem Lübeck und Brügge durch die industrielle Verarbeitung dieses kostbaren Stoffs auszeichneten. Bernstein, verarbeitet oder in rohem Zustand, gehörte zu den Artikeln, welche die Hansekaufleute überall handeln wollten. So wird in den Privilegien, welche den deutschen Kaufleuten durch Herzog Johann von Lothringen, Brabant und Limburg im Jahre 1315 zugestanden wurden, auch der Bernstein unter den zollzahlenden Artikeln genannt. Auch in den, durch Albrecht, Herzog von Baiern und Grafen von Holland, für den Verkehr der Hansekaufleute getroffenen Verfügungen von 1389 ist gleichfalls der Bernstein als ein hoher Zoll tragender Artikel aufgeführt. Aber wenn auch alle Hanseaten mit diesem Rohstoff handelten, so entwickelt wie in Lübeck scheint die Industrie nirgends sonst an der Ostsee gewesen zu sein.

Die Geschichte der Paternostermacher zu Lübeck

In Lübeck verweist der Name Paternostermaker bereits seit den Jahren 1317-1355 auf die Bernsteindreher, deren Haupterzeugnisse die Paternoster (Gebetsketten) waren. Kurz darauf im Jahre 1360 wird die Zunft der Paternostermacher aus einer Ordnung des Rates bekannt, welche im 1365 vervollständigt wird. Im Interesse des Amtes (der Zunft) der Paternostermacher, wurde 1385 das Wandern der Gesellen durch den Rath unter Strafe gestellt. Dies sollte verhindern, dass das Gewerbe über die Stadtgrenzen der Hansestadt hinausgetragen wurde und sich anderenorts eine Bernsteindreher Gilde etablieren konnte. Hierzu trugen auch die Abnahmeverträge für den Rohstoff Bernstein mit dem Deutschen Orden bei. Nicht zuletzt daran lässt sich die hohe Stellung des Gewerbes für die Stadt Lübeck ableiten. 1397 gab es 39 Mitglieder der Zunft, man weiß zwar im Allgemeinen wenig darüber, wie viel Personen den Zünften durchschnittlich angehörten, zieht man aber in Betracht daß Lübeck um 1350 etwa 37.000 Einwohner zählte, so kann man vermuten, dass das Amt hauptsächlich für den Export produzierte. 1449 ersuchen die Bürgermeister von Lübeck den Hochmeister Conrad v. Erlichshausen dafür zu sorgen, dass kein unverarbeiteter Bernstein direkt von Preussen nach Venedig, sondern nur nach Lübeck und Brügge verkauft wird. Im Ausgehenden 14. Jahrhundert bis Anfang des 15. Jahrhundert ist dann meist nur noch die Rede von Bernstein als zu verarbeitendes Material der Perlendreher, was der starken Bernsteinverarbeitung in Lübeck geschuldet zu sein dürfte. Davor scheinen noch andere Materialien verarbeitet worden zu sein, wie zum Beispiel Achat, Korallen, Holz, Knochen, Horn und sogar Silber.
Für das 15. Jahrhundert ist anzunehmen, dass die Lübecker Bernstein-Industrie soweit entwickelt und konzentriert ist, dass anderen (norddeutschen) Städten kaum oder nur noch eine geringe Bedeutung für dieses Gewerbe zukommt. Mit dem ausgehenden Mittelalter verliert die Industrie jedoch wieder deutlich an Bedeutungen. Zum einen erwerben einige andere Städte das Recht der Bernsteinverarbeitung (1450 in Stolp, Kolberg, Danzig, 1640 in Königsberg) und die Nachfrage nach Paternostern geht auf Grund der Reformation allmählich zurück. Vorerst werden ausweichend Messerhefte, Schalen, Löffel und Perlen für Schmuckketten hergestellt. Im 17. Jahrhundert arbeiteten in Lübeck nur noch zwei Meister und ab 1842 gilt das Handwerk der Paternostermacher in Lübeck dann als ausgestorben.

Regelungen und Bestimmungen aus der Zunft
Paternostermacher2

Die Tränen frommer Seelen, faßt Gott und läßt sie zählen – Paternostermacher bei der Arbeit

In der Regel durften Meister zwei Gesellen und einen Lehrjungen beschäftigen, wobei es den Lübecker Paternostermacher durchaus gestattet war anstatt des einen Gesellen einen weiteren Lehrjungen einzustellen. Das Wandern war den Gesellen unter Strafe verboten, wohl um die gewinnbringenden Fertigkeiten der Bernsteinbearbeitung innerhalb Lübecks zu halten. Wer auswanderte durfte seine Kunst anschließend nicht mehr in Lübeck ausüben. Ebenso ergingen Mahnung durch das Amt selbst an die Knechte und Mägde, den Meister nicht ohne Kündigung zu verlassen, sowie an die Letzteren, ihre Gehilfen nicht durch große Vorschüsse an sich zu fesseln.
Von Rath der Stadt Lübeck ergingen weitere Verbote, wie zum Beispiel das Verbot von Nachtarbeit, der Arbeit zu gewissen Festzeiten und evtl. auch das Verbot geräuschvoller Arbeiten zu gewissen Tageszeiten. Die Arbeitszeiten waren wie folgt geregelt: im Sommer von 5:00 Uhr bis 20:00 und im Winter von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr, samstags bis 16:00 Uhr.
Bezahlt wurde per Stücklohn, wobei drei Arten von Tätigkeiten, das Zurichten (wozu evtl. auch das Löcherbohren zu zählen ist), Schneiden und Drehen des Materials, unterschieden werden – 1.000 Stück je nach Tätigkeit 4 bis 9 lüb. Pfennigen (per 1000 Stück schneiden 8 Pfennige, bohren 4 Pfennige und drehen 9 Pfennige). Außer den Gehilfen, die gegen Stücklohn arbeiteten, gab es eine höhere Stufe, die im Taglohn bezahlt wurde. Ob es sich hier um einen Altgesellen oder einer Art Werkmeister handelt bleibt dabei aber  noch offen. Die Tätigkeit an sich scheint weniger anspruchsvoll, wie, zum Beispiel, die eines Goldschmiedes oder anderer Kunstgewerbe, jedoch kam der Zunft in Lübeck dennoch eine große Bedeutung zu, wohl auf Grund der Paternoster als bedeutendes Export- und Handelsgut.

Frauen in der Zunft

Für Frauen gibt es keine Belege darüber, dass sie eigenständig Gesellen oder Meisterinnen werden konnten. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass es im Paternostermacher Gewerbe dennoch einige Meisterinnen gab, welche auch das Geschäft leiteten. Da der Zugang für Frauen weder zur Ausbildung noch zum Erwerb der Meisterschaft nachzuweisen ist, könnte es sich hierbei um Witwen gehandelt haben, welche das Geschäft der Familie weiter führten. Witwen war das fortführen des Betriebes nur dann gestattet wenn sie bereits 45 Jahre alt waren oder sich binnen eines Jahres neu vermählten. Für ältere und arme Witwen war durch die Zunft anscheinend eine gewisse Unterstützung vorgesehen, wobei diese aber verpflichtet waren einen Gesellen zu beschäftigen. Wer sich nicht an die Regelungen hielt konnte mit der Einstellung jeglicher Unterstützung durch die Zunft rechnen.
Ebenso galt das Tochterrecht, welches in Lübeck jedoch keine weitere Erwähnung findet und davon auszugehen ist, dass dieses ähnlichen Regelungen unterlag, jedoch nicht gleichermaßen bedeutend war.

Dagegen sind die Bestimmungen gegenüber Gesellen die eine Meistertochter heiraten umfangreicher. So wurde zum Eintritt in das Amt eine Heirat mit einer Meistertochter oder Witwe zur Bedingung gemacht und verschiedene Vergünstigungen angeboten.

Die Herstellung von Bernsteinperlen

In den schriftlichen Quellen wird der Produktionsgang einer Perle wie folgt beschrieben: „to borende, to dreyende, to snidende“

Anhand der Grabung in der Hundestraße in Lübeck und der Analyse der gefunden Überreste der Bernsteinperlenproduktion, können wir heute die Arbeitsschritte nachvollziehen. So wurde erst ein Stück in der gewünschten Perlengröße aus dem Bernstein geschnitten, von beiden Seiten vorgebohrt und anschließend auf einer Drehbank eingespannt und zu einer Perle abgedreht. In Lübeck wurden die Perlen dann zumeist zu 50er Ketten aufgezogen, anderenorts waren auch weitere Längen üblich.

Weiterhin ist zur Bearbeitung folgendes bekannt: Die Stücke wurden zuerst gewässert, um eine zu schnelle Erhitzung und damit verbundenen etwaigen Beschädigungen durch Sprüngen bei der Bearbeitung zu verhindern. Danach wurde die braune „Rinde“ um den Bernstein entfernt und dieser dann in weiteren Arbeitsschritten (schneiden, bohren, drehen) zu Perlen verarbeitet. Zum drehen wurde eine gewöhnliche Drehbank oder eine Art von Dockendrehstuhl, dessen Spindel bloß mit dem Handdrehbogen in Bewegung gesetzt wurde, verwendet. Geglättet wurden die Perlen dann, indem man diese mit Bimsstein schliff, mit den eigenen Spänen abrieb und mit ungelöschtem Kalk, mit geschlämmter Kreide oder mit Weingeist angefeuchtetem Tripel poliert, um einen schönen Glanz zu erzielen.

Noch heute kann man der Vergangenheit Lübeck’s beinahe hinter jeder Ecke begegnen. So bezeugen nicht nur viele Artefakte im Boden, Häuser, Schriftstücke in Archiven und vielem mehr die große Rolle Lübecks in der Geschichte, aber auch so alltägliche Dinge wie Straßennamen erzählen von einer lang vergangenen Zeit. Von den Paternostermachern erzählt heute auch einer davon, der „Bernsteindreherweg“.

Quellen:

Mitteilungen des Vereins Lübeckischer Geschichte und Altertumskunde 42/1885/86 2. Heft – 1886 Jan./Feb.
Hansische Geschichtsblätter 1877, 1897
Geschichtsblätter Verein für Lübische Geschichte 1986
Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010
Lübecker Stadtzeitung (Beitrag Doris Mührenberg, Bereich
Archäologie)

http://bernstein-drechsler.de/handwerk.htm
Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreissern